Die Jurybegründung zur Preisvergabe: »Höhenflüge«
Die Geborgenheit des Kleinen könnte eine Enge sein, die Weite hingegen nur haltlose Einsamkeit bieten. Eindeutig ist das nie zu greifen in diesem Film. So wie auch die Figuren ambivalent bleiben; während wir den Hauptprotagonisten in einem Moment noch für seine Gier zu verachten glauben, überfällt uns im nächsten das Mitleid angesichts der verzweifelten Lage, in die er sich selbst manövriert hat. Wir lachen, und kurz darauf bleibt uns das Lachen im Halse stecken.
Der Film, den wir auszeichnen möchten, handelt von einem zunächst abseitig, wenn nicht gar abwegig scheinenden Thema. »Höhenflüge« von Lena Leonhardt nimmt uns mit in die skurrile Welt der Fußringe und Gefieder-Prüfungen, der Dachluken, Taubenschläge und Zuchtpokale. Er macht uns bekannt mit Taubenzüchtern, für die ihre Vögel wahlweise Kinderersatz, liebgewonnene Mitbewohner oder schlicht Mittel zum großen Geld sind. Doch je weiter wir einem der Protagonisten auf seinem Weg folgen, der aus der Überschaubarkeit der deutschen Provinz bis in die entfesselten Weiten von Dubai und Peking führt, desto größer werden die Assoziationsräume, die der Film uns eröffnet. Mit Bildern von beeindruckender Wucht und einer Montage, die unerwartete Bezüge herstellt, schlägt die Regisseurin den Bogen vom Hobby zur Weltökonomie und schafft eine Parabel darüber, wie weit wir für den Profit bereit sind zu gehen – und was wir dadurch verlieren.
Dabei kommt er seinen Figuren sehr nahe, ohne ihnen je auf den Leim zu gehen; er findet deutliche Bilder für die Lebenslage seiner Protagonisten, ohne sie je bloßzustellen. Aus den größtmöglichen Kontrasten entsteht hier eine Betrachtung der Welt, in der das Geld die sozialen Strukturen verändert und Begriffe wie Freundschaft oder Vertrauen gegen kalte ökonomische Verwertbarkeit stehen.
Lena Leonhardt hat mit ihren »Höhenflügen« einen überraschenden Film geschaffen, der verstört, bewegt, zum Lachen bringt, und dessen teilweise horror-artigen Einblicke in die menschliche Natur und die Welt, die wir uns geschaffen haben, uns lange nicht loslassen.
Herzlichen Glückwunsch!
Miriam Bliese, Jonas Schmager und Ricardo Brunn